Von Zypern bis ins Allgäu

Sind im interreligiösen Dialog mit der Rede vom „Brückenbau“ falsche Vorstellungen verbunden? Überlegungen von Professor Heiner Bielefeldt bei der Preisverleihung der Georges-Anawati-Stiftung.

„Brückenbau und Gipfeltreffen“ stand als Motto über dem Vortrag, mit dem Prof. Dr. Heiner Bielefeldt den Online-Abend zur Verleihung des Essaypreises der Georges-Anawati-Stiftung eröffnete. Bielefeldt ist Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Nun berichtete er von Erfahrungen im Rahmen seiner Tätigkeit als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Seinen Ausgangspunkt bildete die Situation auf Zypern, wo Bielefeldt verschiedene Dialogformate zwischen den religiösen Gruppen auf der Insel beobachten konnte. Neben offiziellen Gipfeltreffen der Religionsvertreter, bei denen sich griechisch-orthodoxe und muslimische Würdenträger bipolar gegenübersaßen, gab es auch offenere Polyloge mit einer deutlich breiteren Teilnehmerzahl aus verschiedenen Religionsgemeinschaften. Während bei „Gipfeltreffen“ gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Jugendliche oder religiöse Minderheiten kaum vertreten waren, konnten diese im zweiten Format ihre Perspektive mit einbringen.

Er merkte an, dass die Metapher der Brücke über einen Graben eine bipolare Struktur impliziere – die eine Seite hier, die andere Seite dort, dazwischen eine Kluft. Damit werde bereits das Problem, das es zu überbrücken gelte, lokalisiert. Es könne aber sein, dass die eigentlichen Bruchlinien außerhalb dieses Brückenbauprojekts lägen. Zudem suggeriere die Metapher die Notwendigkeit „solider Pfeiler“ auf beiden Seiten, um die Brücke zu tragen. Dies könne dazu führen, dass die innere Vielfalt der Religionsgemeinschaften vernachlässigt werde. Gleichwohl verwende er die Metapher auch selbst und biete sie durchaus durchaus Potenzial. Ihre Implikationen seien jedoch kritisch zu reflektieren und sie gegebenenfalls durch andere Metaphern oder Begriffe zu ergänzen.

Heiner Bielefeldt betonte denn auch: „Wir brauchen Dialog. Wir brauchen aber auch Dialog in sehr unterschiedlichen Formaten und eine kritische Reflexion, damit nicht unfreiwillig Ausblendungen passieren.“ Laut Bielefeldt müssen neben den offiziellen Gipfeln auch informelle Polyloge und die tagtägliche Kommunikation zwischen Angehörigen verschiedener Religionen berücksichtigt werden. Und doch sieht er auch Grenzen im interreligiösen Dialog: „Die Erwartung, dass wir uns am Ende verstehen werden, ist unrealistisch. Wer diese Erwartung schürt, produziert damit Frust.“ Stattdessen könne es schon ein realistisches Ziel sein, gegenseitige Fehlwahrnehmungen abzubauen.

„Viele tolle Geschichten – leider kaum bekannt“

Andererseits gibt es laut Bielefeldt „ganz viele tolle Geschichten“ für gelungene interreligiöse Zusammenarbeit, die allerdings kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhielten, so zum Beispiel in Sierra Leone oder Vietnam. Hier seien kreative Ansätze nötig, um diese „Mutmacher-Geschichten“ stärker in die Öffentlichkeit zu bringen.

Im Anschluss hielt Professor Harald Suermann vom Vorstand und Wissenschaftlichen Beirat der Georges-Anawati-Stiftung die Laudatio auf die vier Preisträger:innen. Deren Essays waren aus der christlich-islamischen Studienwoche 2022 hervorgegangen, einer Gemeinschaftsveranstaltung der Akademie und der Eugen-Biser-Stiftung.

Den ersten Preis beim Essaywettbewerb erhielt Simone Katharina Kraßnitzer für ihren Essay „Mach nicht so ein Theater – sei Theater! Das Theater der Unterdrückten Augusto Boals als mögliche partizipatorische Form des interreligiösen Dialogs.“ Kraßnitzer zufolge können die Methoden dieses brasilianischen Theaters auch für den interreligiösen Dialog fruchtbar gemacht werden. Das partizipative Theater bietet einen geschützten Raum, um Lösungen für Konflikte zu erproben und friedliche Perspektiven zu entwickeln. Jede Person könne dabei mit ihren Erfahrungen einbezogen werden.

Wie sich scheinbar zementierte Rollen ändern

Armin Begić wurde mit dem zweiten Preis für seinen Essay „Gendermania. Reflexionen zu Herausforderungen, Chancen und Grenzen aktueller Gender-Problematiken für Christentum und Islam“ ausgezeichnet. Er hat Beobachtungen aus der Studienwoche, die 2022 in Lindenberg im Allgäu stattfand, autoethnographisch reflektiert. Sein Essay beschreibt, dass viele scheinbar fest zementierte Genderrollen sich im Laufe der Zeit verändert haben, und betont, dass die Perspektiven anderer Disziplinen wie Medizin oder Hirnforschung in die theologische Debatte einbezogen werden sollten, um zu einem umfassenderen Verständnis zu gelangen.

Einen dritten Preis teilten sich Karolin Fischer für ihren Essay „Mit dem einen Gott für ein gerechtes Europa“ und Chiara Pohl für ihren Essay „Paradigmen des Streitens für einen Dialog des Friedens“. Fischer argumentiert, dass Christen und Muslime auf Basis ihrer monotheistischen Traditionen eine gemeinsame Sozialethik für Europa entwickeln sollten. Pohl unterscheidet zwischen Dialogformen des Verstehens, der Wahrheitssuche und der Problemlösung. Letztere erfordere Kompromissbereitschaft, um gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden.

Die Essays zeigen aus unterschiedlichen Disziplinen und mit variierenden Schwerpunkten konstruktive Ansätze auf, wie interreligiöser Dialog gestaltet werden kann, um Vorurteile abzubauen und ein friedliches Miteinander zu fördern.

Dialog auch mit Nicht-Religionen?

Im Anschluss fragte eine von Stefan Zinsmeister, dem Vorstandsvorsitzenden der Eugen-Biser-Stiftung und Co-Leiter der Studienwoche, moderierte Diskussion, inwiefern die Metapher des „Brückenbaus“ spezifisch christlich geprägt ist oder auch in anderen Religionen Anwendung findet, inwiefern sie als Metapher durchaus funktionieren kann, aber womöglich simplifizierende Konnotationen mit sich bringt. Abgewogen wurde, was realistische Erwartungen an Dialogprozesse sein könnten: Konsens oder vollständiges Verstehen sei nicht immer erreichbar, doch könne Dialog helfen, Fehlwahrnehmungen abzubauen und praktische Formen der Kooperation zu entwickeln. Angeregt wurde auch ein Dialog, der neben Religionsgemeinschaften auch nicht-religiöse Weltanschauungen einbezieht.

Die Georges-Anawati-Stiftung ist benannt nach dem ägyptischen Dominikanerpater und Islamwissenschaftler Georges Anawati (1905-1994), der während seiner jahrzehntelanger Arbeit in vatikanischen Gremien die Neuausrichtung des Verhältnisses der katholischen Kirche zu anderen Religionen geprägt und – nicht zuletzt über die Erklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils – deren Türen zum Dialog mit anderen geöffnet hat.

Eine Videoaufzeichnung der Online-Veranstaltung finden Sie hier:

Wir dokumentieren auch die Essays der Preisträger:innen.

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